Antwortbrief an
die Architektenkammer Baden-Württemberg

 

Arbeitskreis Architekt/innen für K21 

An die Architektenkammer Baden-Württemberg
Danneckerstr.54
70182 Stuttgart

25.11.2010 

Antwortschreiben der Architektenkammer Baden-Württemberg 

Sehr geehrter Herr Präsident Riehle,
sehr geehrter Herr Geschäftsführer Dieterle, 

wir bedanken uns für das Schreiben von Ihnen Herr Dieterle als Geschäftsführer der AK-BW vom 10.11.2010. 

Leider trifft die Aussage in diesem Antwortschreiben nicht zu, dass Sie, Herr Riehle, sich zuletzt im Frühjahr 2008 (gemeinsam mit dem Landesvorsitzenden des BDA Ben Kauffmann) zum Thema Stuttgart 21 zu Wort gemeldet haben. Es dürfte dem Kammervorstand + dem Präsidenten nicht entgangen sein, dass Herr Kauffmann für seine parteilichen und nicht mit den Mitgliedern abgestimmte Stellungnahme im BDA intern kritisiert worden ist und selbst einräumte, zu dem Zeitpunkt sich mit dem Projekt noch nicht wirklich auseinandergesetzt zu haben. Nicht zuletzt dürften Sie, Herr Riehle, als BDA Mitglied, den offenen Brief von Prof. Schürmann als derzeitigem Landesvorsitzenden des BDA an den Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart Herrn Dr. Schuster zur Kenntnis genommen haben, in dem Herr Prof. Schürmann deutlich zum Ausdruck bringt, dass der BDA nicht geschlossen hinter Stuttgart 21 steht, wie von Herrn Dr. Schuster öffentlich verschiedene Male vorgetragen, sondern im BDA genauso heterogene Meinungen zu finden sind wie in der Gesellschaft und in der Architekten-Kammer. Er forderte Herrn Dr. Schuster ausdrücklich auf, weitere Behauptungen dieser Art zu unterlassen. Das ist eine korrekte Haltung des Landesvorsitzenden seinen Mitgliedern gegenüber. 

Wie geht dagegen unsere Kammer mit kritischen Meinungen und fundierten Bedenken  ihrer Mitglieder um wie beispielsweise: 

mit an sie adressierten Protestbriefen von Prof. Ackermann, Prof. Auer, Prof. Bächer und weiteren namhaften Kollegen? 

mit der Initiative von Matthias Roser für den Erhalt des denkmalgeschützten Bonatz-Bahnhofs, die auch von vielen international bekannten Architekt/innen und Denkmalschützer/innen unterstützt wurde. 

mit den Stellungnahmen des Städtebauausschusses und seiner deutlichen Kritik an der städtebaulichen Qualität des Projekts S 21? 

mit der kritischen Haltung des Werkbundes Deutschland 

mit der differenzierten Haltung des Vorstandes des BDA 

mit den Ergebnissen aus den Schlichtungsrunden, die S21 in vieler Hinsicht als äußerst fragwürdig erscheinen lassen? 

mit den Leserbriefen an das Deutsche Architektenblatt 

Erklären Sie uns bitte, weshalb all diese Bedenken bei den Verantwortlichen unserer Standesvertretung keinerlei Nachdenken auszulösen scheint oder dieses zumindest nicht öffentlich sichtbar wird. Im Gegenteil, in Ihrem Antwortschreiben schreiben Sie uns Herr Dieterle, es gäbe nur wenige Einwände. 

Eine demokratische Wahl der Kammerorgane stellt keineswegs ein Mandat dar, als Präsident, Kammervorstand oder Verwaltung inhaltlich so einseitig für eine Position Stellung zu beziehen - gegen die bekannte Meinung einer großen Anzahl andersdenkender Kammermitglieder. 

Erneut haben Sie, Herr Riehle, als Kammerpräsident bei der Veranstaltung im Rathaus der Stadt Stuttgart am 12.11.2010 geäußert, dass Sie und die Kammer das Projekt S21 eindeutig und mit großer Freude begrüßen. Dies ist umso befremdlicher als Ihnen der von über 100 Stuttgarter Kolleg/innen verabschiedete offene Brief vorliegt und das Positionspapier der 5 Stuttgarter Kammergruppenvorsitzenden (DAB 11/10). So hat sich auch Frau Mundorff im Oktober 2008 in SWR 2 als Vertreterin der Kammer und damit der Architektenschaft- in geradezu beschämender Weise abwertend über den Wert des denkmalgeschützten Bonatz-Bahnhofs geäußert. Haben sich die Verwaltung der Kammer und der Kammerpräsident schon so weit von der Basis entfernt, dass Sie diese in ihre Heterogenität gar nicht mehr wahrnehmen? 

Bei o.a. Gespräch im Rathaus haben Sie, sehr geehrter  Herr Riehle, auch angekündigt, dass die Kammer als Standesvertretung der Architektenschaft zusammen mit dem BDA, die von Herrn Schuster initiierte Bürgerbeteiligung fachlich begleiten wollen. Da einige von uns bereits vor ca. 13 Jahren bei der sogenannten „offenen Bürgerbeteiligung“ zum gleichen Thema aktiv beteiligt waren und erlebt haben, wie die Stadt Stuttgart mit den Ergebnissen dieser Beteiligung umging, können wir nicht mehr so uneingeschränkt für diese Art von Bürgerbeteiligung in Stuttgart eintreten. Die Szenarien von Nachhaltigkeit, Nullenergiekonzepten, Baugruppen und Kleinparzellierungen ..., die Herr Dr. Schuster, Herr BM Hahn und andere nun als „neu“ und als angestrebte Utopien skizzieren, waren bereits Forderungen der Bürgerbeteiligung vor 13 Jahren. Was ist bislang davon umgesetzt worden? Wie offen ist die hektisch, noch vor Abschluss des Schlichtungsverfahrens angesetzte Bürgerbeteiligung wirklich? Ist der Entwurf von Prof. Pesch bereits im Papierkorb oder doch noch relevant? Was bedeutet solch eine Vorgehensweise? Hier drängt sich der Eindruck auf, dass positive Bilder benutzt, ja geradezu missbraucht werden, um berechtigte Kritik am Verlauf dieses Projektverfahrens zu verdecken. Vielleicht werden die Baufelder ganz andere sein, weil das Bahnprojekt S 21 nicht zukunftsfähig und der unterirdische Bahnhof mit seinen immensen Kosten unwirtschaftlich ist und außerdem einige funktionale Mängel aufweist. 

Ein zielorientierter Faktencheck und das Offenlegen der Entscheidungen mit allen Konsequenzen wäre bereits seit Jahren Aufgabe der Stadt Stuttgart und der Architektenkammer gewesen, statt sich auf eine Wettbewerbsentscheidung zurück zuziehen, die im Rückblick fragwürdig erscheint und vor dem Hintergrund der heute bekannten Faktenlage neu bewertet werden muss. In der ‚Arbeitsgruppe der Kammer zu Stuttgart 21‘ wurden diese Ziele von den Beteiligten bereits formuliert (siehe „Stuttgart 21 – Risiken und Chancen“ Sept. 1995). Gab es entsprechende kritische Anmerkungen bei den diversen Preisgerichten, deren Vorsitz Sie, Herr Riehle, inne hatten? 

Wir sind im Übrigen keineswegs der Meinung wie Sie, Herr Dieterle, dass es einen erfolgreichen Abschluss des Planfeststellungsverfahrens über ein rechtlich abgesichertes Baurecht gibt. Für viele Teilabschnitte der Strecke Wendlingen/Ulm oder auf den Fildern gibt es bisher noch keine Planfeststellung. Diese Art der suggestiven Behauptung sind nicht seriös und wenig hilfreich, genauso wenig, wie die Behauptungen über die Finanzierung des Projektes. Fast täglich treten neue Manipulationen, Tricks und Täuschungen zutage (wie zuletzt in der Stuttgarter Zeitung vom 15.11.2010 in Bezug auf die Schönrechnung der Wirtschaftlichkeit oder in der Stuttgarter Zeitung vom 16.11.2010 wie sich ungesetzmäßig das Land mit Steuermitteln an Bundesprojekten beteiligt ...) und nicht zuletzt die finanzielle Förderung der Bahn durch einezinslose Überlassung der von der Stadt Stuttgart erworbenen Grundstücke im Wert von 460 Mio.€ über Jahrzehnte, was auch Herrn Dr. Geissler nach der Rechtmäßigkeit fragen ließ. Bis 2020 wird sich der Zinsverlust auf 212 Mio. € summieren. 

Abschließend begrüßen wir ausdrücklich, dass die Kammer, nun als die Vertretung aller Mitglieder, das Thema als Vortrags-und Diskussionsreihe aufgreift und gehen davon aus, dass bei den Referent/innen sowohl Befürwortende vom Stuttgart 21, als auch von K21 gleichermaßen zu Wort kommen. Wir erwarten, dass der Vorstand der Architektenkammer anlässlich der Landesvertreterversammlung im Sinne unserer Anregungen und Kritik Stellung bezieht und eine Relativierung ihrer bisherigen Außendarstellung vornimmt. Wir erwarten kenntnisreiche Beiträge und eine offene kollegiale Diskussion zur wichtigsten städtebaulichen Situation in Stuttgart. 

Mit besten Grüßen