Stuttgart 21 ist kein ökologisches Projekt

Die Befürworter von Stuttgart 21 behaupten, es sei ein „ökologisches“ Vorzeigeprojekt. Deshalb könne man eigentlich gar nicht dagegen sein. Dass dies aber absolut nicht zutrifft, zeigen die folgenden Fakten. 

Die Neubaustrecke ist Energie-aufwendiger

Energetisch gesehen ist die Neubaustrecke Stuttgart – Ulm deutlich schlechter als die bestehende Filstaltrasse, denn dort wird die Schwäbische Alb an einem der niedrigsten Scheitelpunkte überwunden. Bei der Neubaustrecke dagegen liegt der Scheitelpunkt um rund 170 m höher als bei der bisherigen Trasse. Einschließlich des Filderaufstiegs zum Flughafenbahnhof beträgt der zu bewältigende Höhenunterschied bei der Neubaustrecke 640 m, bei der Filstaltrasse etwa 340 m. Selbst wenn man davon ausgehen kann, dass ein Teil der Energie rückgespeist wird, ist der zusätzliche Energieaufwand durch diese Höhenunterschiede, durch erhöhten Luftwiderstand in den insgesamt 30 km langen Tunnelstrecken und durch die deutlich höheren Geschwindigkeiten immens. Außerdem ist die Neubaustrecke mit einer maximalen Steigung von 3,5% sogar noch steiler als die alte Trasse, was zusätzlich Energie kostet.

Keine Energie- und Emissionseinsparung durch S21

Die Befürworter behaupten, dass durch S21 und die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm rund 1 Mrd. PKW-km pro Jahr auf die Schiene verlagert werden könnten. Das klingt nach viel, aber bei 70 Mrd. PKW-km pro Jahr in BW entspricht das gerade mal 1,4%. Dabei muss jedoch befürchtet werden, dass der geplante 6-spurige Ausbau der Autobahn über die Alb eine weitere Steigerung des KFZ-Verkehrs bewirkt, und damit der Verlagerung auf die Schiene und somit der Energie- und Emissions-Einsparung entgegenwirkt.

Stuttgart 21 verhindert die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene

Der Verkehr ist heute für rund 25% der Kohlendioxidemissionen (180 Mio. t/a) Deutschlands verantwortlich. Diese müssen mindestens auf ein Viertel der heutigen Menge sinken, wenn es gelingen soll, den Klimawandel bis zur Jahrhundertmitte in erträglichen Grenzen zu halten. Dies gelingt nur, wenn ein großer Teil des Güterverkehrs – der noch stetig zunimmt - auf die Schiene verlagert wird. Nach Berechnungen von Professor Dr. Nitsch und anderer Experten, muss deshalb der Güterverkehr auf der Schiene innerhalb der nächsten 20 Jähre mindestens verdoppelt werden. Mit dieser Verlagerung von Gütern auf die Schiene könnten allein rund 20% der notwendigen Emissionsminderung des Verkehrs erbracht werden. Das wird aber nur funktionieren, wenn das Schienennetz für den Güterverkehr erheblich modernisiert und ausgebaut wird. Nach seriösen Berechnungen würde die Ertüchtigung des gesamten deutschen Schienennetzes für einen verdoppelten Güterverkehr rund 11 Mrd. € kosten. Das hat erst jüngst eine neue Studie für das Bundesumweltamt  bestätigt. Das ist also etwa die Summe, die nach realistischen Berechnungen das Projekt S21 verschlingen wird. 

Aber es ist inzwischen völlig klar, dass die Neubaustrecke Stuttgart – Ulm nichts für die Verbesserung des Güterverkehrs bringen wird. Sie ist zu steil für heutige Güterzüge, das Trassenentgelt wird zu hoch sein und die sog. modernen Leichtgüterzüge, die für die Wirtschaftlichkeit der Strecke erfunden wurden, gibt es noch gar nicht. Professor Nitsch folgert daraus, dass die Durchsetzung von S 21 dazu führen würde, dass der weitere Ausbau des Güterverkehrs in ganz Deutschland, und damit ein wesentlicher Teil des Klimaschutzes, auf der Strecke bleibt – denn das Geld kann man nicht zweimal ausgeben.

S21 generiert mehr Flugverkehr

Der Flughafenchef Fundel erwartet durch den S21-Flughafenanschluss ca. 2 Mio. mehr Passagiere. Das lässt befürchten, dass mehr Flüge eingerichtet werden und dadurch noch mehr Lärm und Abgase entstehen. Womöglich wird dann erneut die Diskussion um eine zweite Startbahn entbrennen, die keiner will.

Der Tiefbahnhof ist ein Energiefresser

Die S 21-Planer preisen ihr Projekt als einen „Null-Energie-Bahnhof“ an, der weder Heizung noch Kühlung benötigt. Wörtlich: „Durch den intelligenten Einsatz natürlicher Energieressourcen entstehen keine CO2-Emissionen.“ Der Tiefbahnhof benötigt jedoch 35 Rolltreppen und 15 Panoramaaufzüge, um auf die Bahnsteige zu kommen. gegenüber dem bestehenden Kopfbahnhof, der eben zugänglich ist, keine Heizung oder Kühlung benötigt und maximal 4 Rolltreppen hat. Der S21-Kellerbahnhof benötigt außerdem trotz seiner so genannten „Lichtaugen“ zur Beleuchtung wesentlich mehr Energie als die heutigen offenen Bahnsteige, so dass den ganzen Tag über eine zusätzliche Beleuchtung erforderlich sein wird. Gleiches gilt für die neuen Bahnhöfe Mittnachtstraße und Flughafen / Messe. Zusätzliche Energie wird im Dauerbetrieb für die Belüftung der insgesamt 60 km Tunnelstrecken und zur Beleuchtung der Notausgänge in den Tunnels benötigt. 

Klimabelastung

Jeder Stuttgarter weiß aus Erfahrung, dass sich der Talkessel im Sommer kräftig aufheizt. Das wird sogar in Zukunft mit steigender globaler Klimaerwärmung noch zunehmen. Allerdings sorgen bisher die unbebauten Flächen des Gleisvorfelds für einen gewissen Ausgleich, denn sie kühlen sich bei Nacht am stärksten ab und halten so die Temperaturen im Talkessel wirksam in Grenzen. Sie bewirken somit einen Frischluftkanal zum Neckartal indem sich die Kaltluftflüsse ungehindert durch das Nesenbachtal wälzen können und somit bei austauscharmen Wetterlagen nachts für den nötigen Luftaustausch sorgen. Eine Bebauung der Fläche, wie bei Stuttgart 21 geplant, hätte dagegen unübersehbare Folgen für das sowieso schon hoch belastete Stadtklima, denn sie könnte diesen Frischluftkanal blockieren. Deshalb muss nach dem Planfeststellungsverfahren S 21 bei der Bebauung Ausgleichsflächen für den Luftaustausch vorsehen. 

Die Parkerweiterung ist eine Mogelpackung

Nach den Plänen von Stuttgart 21 soll der Park um 20 Hektar erweitert werden, von denen jedoch 10 Hektar im Bereich des Tiefbahnhofs abzuziehen sind, da sie nicht als Park genutzt werden können. Die verbleibenden 10 Hektar Parkerweiterung entsteht allerdings weit weg in zweieinhalb Kilometern Entfernung auf den Gleisflächen am Rosenstein, die jedoch erst nach Inbetriebnahme des neuen Tiefbahnhofs geräumt werden können, also erst in zehn bis fünfzehn Jahren. Der Verlust an Parkfläche in Zentrumsnähe wird jedoch vom ersten Tag des Baubeginns an zu beklagen sein! Und dies auf Dauer, denn auf dem gigantischen Betonriegel über dem Tiefbahnhof werden niemals Bäume wachsen. 

Gefährdete Pflanzen- und Tierarten

Nicht nur die Juchtenkäfer in den Parkbäumen oder die Fledermauskolonien  in den Bahnhofsflügeln sind gefährdet. Auch auf den Bahnbrachen, die entfernt werden sollen, gibt es eine sensationelle Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren. Als Ausgleichsmaßnahme hat sich die Bahn AG verpflichtet, 3,7 ha Trockenstandorte mit dem Schotter des aufgelassenen Gleisgeländes herzustellen. So soll parallel zur heutigen Platanenallee im Schlossgarten eine Geröllhalde aufgeschüttet werden, auf der sich die bisher auf dem Gleisgelände heimischen Tier- und Pflanzenarten ansiedeln können. Das bedeutet allerdings, dass für die eigentliche Parkerweiterung noch weniger Fläche verbleibt.

Baumfällung

Für S 21 und dessen Baustelle müssen rund 250 Großbäume im Schlossgarten gefällt werden. Bäume dieser Größe und diesen Alters haben in der "Grünen Lunge Stuttgarts" eine wichtige Funktion. Ein großer Baum produziert jährlich ca. 3.300 m3 Sauerstoff, absorbiert jährlich ca. 2,5 Tonnen CO2 und bindet jährlich 1.000 kg Feinstaub. Er zieht im Jahr über seine Wurzeln bis zu 20.000 Liter Wasser, das verdunstet und dadurch zur Kühlung beiträgt. Bis Jungbäumchen auch nur halbwegs die Größe unserer prächtigen zum Tode verurteilter Parkbäume erreicht haben, können 30 bis 50 Jahre vergehen. Durch Stuttgart 21 würde mindestens eine Generation um den Parkgenuss betrogen! 

Baumsterben durch Grundwasserabsenkung

Weil die geplante Tiefbahnhofbaustelle am tiefsten Punkt des Stadtkessels in einem ehemaligen Sumpfgebiet liegt, unter dem große Ströme an Grund- und Mineralwasser fließen, muss der Grundwasserspiegel um mehrere Meter abgesenkt werden, damit die Baugruben nicht voll laufen. Dies hat jedoch unweigerlich zur Folge, dass das Wasser aus dem angrenzenden Gelände nachfließt. Das bedeutet, dass nach und nach auch weiter entfernt stehende Bäume absterben könnten. 

Die Gefährdung des Mineralwassers und der Heilquellen

Stuttgart hat nach Budapest die stärkste Heilquellenschüttung in Europa. Dies ist ein Schatz, den wir unter allen Umständen für künftige Generationen schützen sollten.

Das Heilwasser verläuft unter dem Stadtgebiet in Talrichtung nicht sehr tief bis zu den Quellschüttungen in Bad Cannstatt. Daher wurden  für die Stadt Heilquellenschutzgebiete mit unterschiedlicher Abstufung zum Schutz dieser Quellen ausgewiesen. Aber die Kernzone, in der nach der Verordnung keinerlei Tiefbauprojekte realisiert werden dürfen, um den unterirdischen Fluss des Heilwassers nicht zu beeinträchtigen, ist dabei ausgerechnet im Bereich des geplanten Tiefbahnhofs willkürlich unterbrochen worden, obwohl das Heilwasser dort ebenfalls fließt. Durch diesen Trick hat sich das Regierungspräsidium die Handlungshoheit für alle Genehmigungsbehörden ebenso gesichert wie die Stadt, als sie 2009 das bislang von privater Hand betriebene Mineralbad Berg kaufte. 

Niemand kann dafür garantieren, dass das unter hohem Druck stehende Mineralwasser nicht an der Baustelle durchbrechen und verunreinigt werden könnte, vor allem weil die Tunnelröhren für S 21 quer zur Fließrichtung des Mineralwassers liegen, das dadurch aufgestaut werden könnte. Insofern bedeutet der Bau des Tiefbahnhofes ein unabwägbares Risiko für unsere Heilquellen. 

Selbst eventuelle Schadenersatzansprüche an den Bauträger Deutsche Bahn könnten den nachfolgenden Generationen unsere wertvollen Heilquellen nicht mehr zurückgeben.

Luftverschmutzung

Stuttgart 21 wird über mindestens 10 Jahre hinweg Europas größte Baustelle sein. Der Transport von ca. 8 Mio. Kubikmeter Gestein einschließlich des Materialtransports bedingt cirka 1 Million LKW-Fahrten. Daraus resultieren 200 Tonnen Feinstaub, 970 Tonnen Stickoxid, 19,9 Tonnen Ruß und 92.000 Tonnen Kohlendioxid. Und das alles in dem ohnehin überbelasteten Stuttgarter Talkessel, der am Neckartor schon jetzt den schmutzigsten Verkehrsknotenpunkt Deutschlands hat. Ein Großteil des Aushubs soll angeblich zur 500 km entfernten Deponie Halle-Lochau gebracht werden, einem ehemaligen Braunkohle-Tagebau.

Lärmbelastung

3.500 Betonpfähle müssen mit schwerstem Rammgerät durch insgesamt 437.500 Schläge in den Boden getrieben werden. Der Lärmpegel wird weit über 90 dB hinausgehen und wirkt somit gesundheitsschädigend.

Erschütterungsbelastungen

Aufgrund der Rammarbeiten und wegen des Schwerlastverkehrs wird es verheerende Erschütterungseinwirkungen geben, so dass mit Schäden an baulichen Anlagen und mit einer enormen Belästigung der Anlieger zu rechnen ist.

Viel Lärm und Feinstaub auch nach der Fertigstellung von S 21

Selbst nach Abschluss der Bauarbeiten am Tiefbahnhof in vielleicht 10 Jahren geht die Belastung weiter, denn erst dann kann man die 100 Hektar Gleisanlagen abbauen sowie die massive zweieinhalb Kilometer lange und bis zu acht Meter hohe Stützmauer entlang der Cannstatter Straße und entlang der Platanenallee im Unteren Schlossgarten abreißen. Ganz besonders viel Aufwand würde der Abriss des dreistöckigen „Stuttgarter Tunnelgebirges“ und des Bahnbetriebswerks erfordern, denn es wurde aus Vorsicht bzw. Unerfahrenheit mit dem damals neuen Werkstoff Beton besonders massiv gebaut, so dass auch hier die Lärm- und Staubbelästigung entsprechend groß sein würde. Für vielleicht 15 Jahre lang wäre in allen Parkteilen (vom Mittleren über den Unteren Schlossgarten bis hinauf zum Rosensteinpark) jede Erholung ausgeschlossen.

Verseuchter Boden

Die Böden unter den Bahnanlagen sind mit Öl, Schwermetallen, cadmiumhaltigen Farbanstrichen und zahllosen anderen Giftstoffen aus dem Dampf- und Diesellokzeitalter verseucht. Fachleute vermuten, dass der Boden an vielen Stellen bis zu einer Tiefe von zehn Metern mit Schweröl belastet ist. Außerdem muss man mit nicht detonierten Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg rechnen. Ergebnisse erster Stichprobenuntersuchungen werden vom Umweltamt der Stadt Stuttgart unter Verschluss gehalten. 

Lärm und Staub durch Neubauviertel

Schließlich wird das geplante neue „Rosensteinviertel“ sowie die hoch verdichtete Büroblockbebauung der »Zweiten Stuttgarter City« unmittelbar am Mittleren Schlossgarten auf Jahre hinaus zu weiteren Lärm- und Staubbelästigungen führen. Ganze Stadtteile, in denen einmal 12.000 Menschen leben und arbeiten, sollen, aus dem Boden gestampft werden. 

Klima-und Umweltbündnis Stuttgart (KUS) Klaus-Dieter Straub November 2010