SCHUTZGEMEINSCHAFT FILDER e.V. - Pressekonferenz am 17.12.2010
Stuttgart 21 ist eine unheilbare Fehlplanung
Geißler unterschlägt in seinem „Schlichterspruch“ die Probleme des Filderabschnitts
Vorbemerkung:
Die Schutzgemeinschaft Filder beschäftigt sich seit 1994, von Beginn an in Pressemitteilungen, Flugblättern und Reden kritisch mit den Planungen zu Stuttgart 21. Statt den Flugverkehr auf die Schiene zu verlagern, soll nach dem Willen der Planer das Fliegen mit Hilfe eines Filder-ICE-Bahnhofs aufgewertet werden.
Es ist auch kein Zufall, dass die Diskussionen um Stuttgart 21 und um einen Messestandort auf den Fildern zeitgleich begannen!
So sagte der damalige Messechef Gehring: „Der am Flughafen geplante ICE-Bahnhof ist eine Steilvorlage für die neue Messe“ (Essl.Ztg. 19.1.95).
Hinweis: Die Zitate aus dem Schlichterspruch sind kursiv gedruckt!
Warum weist Heiner Geißlers Schlichterspruch so gravierende Mängel im Filderbereich auf?
Im Schlichterspruch heißt es: „Es steht fest, dass von den sieben Planfeststellungsabschnitten für die Neubaustrecke von Wendlingen vier sich noch im Planfeststellungsverfahren befinden. Da die Neubaustrecke eine zwingende Voraussetzung für den Tiefbahnhof bedeutet und die Bahn mit den Bauarbeiten fortfahren will, ist es vordringlich, dass die Projektträger für die Neubaustrecke so rasch wie möglich für die rechtliche und finanzielle Absicherung der Neubaustrecke Sorge tragen.“
Heiner Geißler macht sich zu Recht Sorgen um die planrechtlichen und finanziellen Voraussetzungen für einen Baubeginn bei der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Die vier Abschnitte, die dort noch nicht planfestgestellt sind, sind aber immerhin schon alle öffentlich erörtert worden.
Auf den Fildern dagegen, dem nach dem Tiefbahnhof schwierigsten Abschnitt von S 21, wurden bisher noch nicht einmal Pläne veröffentlicht, es gab keine Anhörung oder Erörterung und damit erst recht keinen Planfeststellungsbeschluss, der Voraussetzung für einen Baubeginn wäre.
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In den Schlichtungsrunden ist eindringlich darauf hingewiesen worden, dass für den Filderabschnitt 1.3 das Verfahren überhaupt noch nicht eröffnet wurde.
Man muss also annehmen, dass Heiner Geißler dies in seinem Schlichterspruch bewusst nicht angesprochen hat.
Dagegen sagt er ganz allgemein über die Kopfbahnhofvariante: „Es gibt mit dem Kopfbahnhof eine attraktive Alternative, es gibt jedoch ganz konkrete Nachteile.
Der am schwersten wiegende Nachteil liegt darin, dass aus heutiger Sicht eine Verwirklichung des Kopfbahnhofs 21 nicht als gesichert angenommen werden kann, da weder ausreichende Planungen und deshalb auch keine Planfeststellungen, also keine Baugenehmigungen vorliegen. Zudem ist die Finanzierungsgrundlage logischerweise dann auch nicht gegeben. …
Für Stuttgart 21 dagegen gibt es eine Baugenehmigung.“
Das ist bemerkenswert falsch! Für S 21 gibt es keine Baugenehmigung!
Für den Filderabschnitt gibt es kein Baurecht und damit ist „logischerweise“ auch die Finanzierungsgrundlage nicht gegeben.
(Im Übrigen ist auch der Abschnitt 1.6b (Untertürkheim Abstellbahnhof) bis heute noch nicht erörtert worden, also auch dort gibt es keine Baugenehmigung).
Nun könnte man diesen „Aussetzer“ von Heiner Geißler hinnehmen, wenn es sich um einen unproblematischen Planungsabschnitt handeln würde.
Doch das Gegenteil ist der Fall.
Das zeigt beispielhaft die Fahrt eines Zuges, der von Singen her kommt:
- Ab Herrenberg fahren die Gäubahnzüge im Mischverkehr mit der
dortigen S-Bahn (S1), sind also schon in einem engen Zeitkorsett.
- Diese Gäubahnzüge schwenken an der Rohrer Kurve nach rechts auf die
S-Bahntrasse (S2, S3) Richtung Flughafen ein (höhengleiche Fahrstraßen-
kreuzung) und müssen mit diesen, oft Viertelstündlich fahrenden S-Bahnen
abgestimmt werden.
- In L.E. fahren sie im Mischverkehr auf einer zu engen, kurvenreichen
S-Bahntrasse. Die S-Bahnen müssen, - das ist für die durchfahrenden
Gäubahnzüge besonders störend, - bis zum Flughafen dreimal halten.
- Die zu engen Tunnel mit ihren gravierenden Sicherheitsproblemen sind nur mit
einer befristeten Ausnahmegenehmigung auf die man jahrelang warten musste,
befahrbar.
- S-Bahn und Gäubahnzüge haben verschiedene Ausstiegshöhen, können also
nicht an der selben Bahnsteigseite halten. Als Folge davon kann die S-Bahn-
Station am Flughafen auf jeder Bahnsteigseite nur jeweils eingleisig (dh. der
Gegenverkehr muss bedacht werden) von den S-Bahnen bzw. den Gäubahnen
befahren werden.
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Vor der Station sind wieder höhengleiche Fahrstraßenkreuzungen.
- Die Gäubahnen schwenken dann auf die ICE -Trasse Richtung Filderabstiegs-
tunnel ein. Dort ergeben sich erneut Probleme: Einmal durch die ICE´s, die
(eingleisig) vom Fernbahnhof unter der Messe her kommen und zum anderen
durch die Züge aus Tübingen, die schon in der Wendlinger Kurve auf wenige
Zeitfenster beschränkt werden mussten.
- Und all dies muss nun noch exakt mit dem Gegenverkehr abgestimmt werden.
Dabei sind die eingleisige Abschnitte und die höhengleichen Kreuzungen ganz
besonders konfliktträchtig.
Dies alles ist fahrplantechnisch fast nicht beherrschbar. Die Gutachter sprechen von einem „hohen Stabilitätsrisiko“. Jede kleine Verspätung wirkt sich aufschaukelnd bis in den Tiefbahnhof aus (und umgekehrt).
Heiner Geißler empfiehlt lediglich eine kurze
„zweigleisige westliche Anbindung des Flughafen Fernbahnhofs an die Neubaustrecke“ sonst kein Wort zu diesen nahezu unbeherrschbaren Engstellen.
Er empfiehlt außerdem: „Die Gäubahn bleibt … erhalten und wird leistungsfähig, z.B. über den Bahnhof Feuerbach, an den Tiefbahnhof angebunden“
Es bleibt unklar, ob es sich dabei nur um eine Ausweichmöglichkeit im Notfall handeln soll oder ob dort tatsächlich alle Gäubahnzüge fahren sollen.
Dann allerdings wäre die gesamte Planung auf den Fildern aber auch im Tiefbahnhof völlig neu zu überdenken (s.u.).
Heiner Geißler sagt zudem: „…2001 wurde das erste Planfeststellungsverfahren beim Eisenbahnbundesamt (EBA) eröffnet. In den darauf folgenden Jahren wurde das Projekt von allen zuständigen parlamentarischen Gremien mehrheitlich gebilligt und insoweit legalisiert.“
Wie kann das Projekt Stuttgart 21 legitimiert sein, wenn man wesentliche Grundlagen (Filderabschnitt) nicht kennt und noch nicht einmal mit den politischen Gremien darüber diskutiert hat, - von der Einbeziehung der Bevölkerung ganz zu schweigen?
Bereits Anfang dieses Jahrzehnts wurden die Pläne beim EBA eingereicht. Bis heute ist nichts geschehen. Offensichtlich sieht das EBA im Filderbereich unüberwindliche Schwierigkeiten.
Warum hinkt man beim Filderabschnitt 1.3 so eklatant hinter allen anderen Abschnitten hinterher? Erst hieß es, es liege an den verschiedenen Bahnsteighöhen des Terminalbahnhofs, dann hieß es, es sei wegen der fehlenden Ausnahmegenehmigung. Diese liegt nun schon seit fast einem halben Jahr vor.
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Wie ist es möglich, im nächsten Jahr (2011) in Stuttgart mit dem Bohren des Fildertunnels zu beginnen, ohne zu wissen ob und wie es am anderen Ende des Tunnels auf den Fildern weitergehen soll?
Warum wird jetzt in Stuttgart mit dem Wassermanagement, den Baustelleneinrichtungen und vor allem mit den Ausschreibungen so hektisch weiter gemacht?
Wir fordern ein Innehalten, einen klaren Baustopp mindestens bis die Filderprobleme gelöst sind.
Ein Planfeststellungsverfahren dauert von der ersten Auslegung der Pläne bis zu einem gerichtsfesten Planfeststellungsbeschluss mindestens 3 Jahre, in einem so komplexen Abschnitt eher 5 Jahre oder mehr.
Wenn hier oben mit mindestens 5 Jahren bis zu einer gerichtsfesten Baugenehmigung gerechnet werden muss, besteht überhaupt kein Anlass, teure Fakten zu schaffen, die man später vielleicht zurücknehmen oder mindestens verändern muss. 5 Jahre bis zur Baugenehmigung, wenn überhaupt, und dann noch mal 10 Jahre Bauzeit.
Wer im Jahr 2011 ohne Not mit dem Bau des Filderaufstiegsstunnels beginnt, handelt grob fahrlässig.
Heiner Geißler sagt: „Die Zeit der Basta-Politik ist vorbei, auch Parlamentsbeschlüsse werden hinterfragt, vor allem wenn es Jahre dauert, bis sie realisiert werden“
Er sagt aber auch:
„Dennoch halte ich die Entscheidung, S 21 fortzuführen, für richtig.“
Wenn das nicht Basta ist! Und unlogisch!
Geißler sagt sinngemäß:
Baut weiter, auch ohne Baugenehmigung auf den Fildern, ohne dass die Finanzen geklärt sind, ohne das Problem des durch S 21 zunehmenden Flugverkehrs angesprochen zu haben, ohne die Ausnahmegenehmigung zu problematisieren, ohne das Nadelöhr Filder wirklich zu lösen, ohne den 30 Meter tiefen Fernbahnhof zu werten, an dem nur alle zwei Stunden ein ICE hält, ohne auf die mindestens 250 Meter Abstand des Fernbahnhofs vom Gäubahn- S-Bahnhof einzugehen, ohne zu klären, was auf der Gäubahntrasse passieren soll,…usw. eben einfach BASTA
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Heiner Geißler fordert vieles, was gar nicht umsetzbar ist.
(dies gilt nicht nur für 200 Jahre alte, herrliche Bäume)
Er sagt: „ich halte …die folgenden Verbesserungen für unabdingbar“…..
Unter anderem:
- „Die bisher vorgesehenen Maßnahmen im Bahnhof und in den Tunnels zum
Brandschutz und zur Entrauchung müssen verbessert werden“.
„…die Fluchtwege sind barrierefrei zu machen“.
Damit müsste die Ausnahmegenehmigung für die viel zu engen S-Bahntunnel
auf den Fildern (und die muss er ja ehrlicherweise auch meinen)
zurückgenommen werden, wodurch eine völlig neue Planung nötig würde.
Aber auch der 5 Stockwerke tiefe Fernbahnhof unter der Messe kann bei
Stromausfall zu einer tödliche Falle für Behinderte werden.
- „Die Gäubahn bleibt aus landschaftlichen, ökologischen und verkehrlichen
Gesichtspunkten erhalten und wird leistungsfähig…an den Tiefbahnhof angebunden“
Die logische Folgerung aus diesem Vorschlag ist, den gefährlichen
und extrem störanfälligen Mischbetrieb auf der Filder-S-Bahntrasse völlig
aufzugeben und eine Anbindung der Gäubahn an den Tiefbahnhof
einzuplanen. Dies wiederum bedingt 10 Gleise im Tiefbahnhof,
was ja sowohl Heiner Geißler als auch (peinlich genug!) der Bahngutachter
Prof. Heimerl ohnehin für zwingend notwendig halten. Zumindest müsste
diese Option ebenfalls Bestandteil der Simulationen sein.
Die Kosten würden dann allerdings die „Sollbruchstelle“ von 4,5 Milliarden
sprengen.
Wenn die Gäubahn wieder über die Panoramastrecke nach Stuttgart fahren
sollte, müsste man die angeblich so wichtige Flughafenanbindung aufgeben.
Das wäre allein aus Gründen der Fahrzeiten interessant. Die Gäubahnzüge
sind durch den Umweg über die S-Bahntrasse mit Halt am Flughafen und
dann weiter durch den Fildertunnel etwa 11 Minuten länger nach Stuttgart
unterwegs als wenn sie direkt über die Panoramastrecke zum HBF fahren
würden.
Damit würde aber das gesamte bisher geplante System aus den Fugen
geraten.
Heiner Geißler ist ein intelligenter Mensch. Es kann nicht sein, dass er nach diesem langen Schlichtungsverfahren dies alles nicht sieht.
Was also steckt dahinter?
Hat er den Filderabschnitt „vergessen“, weil eine ernsthafte Befassung damit unweigerlich zum Stopp der S 21 Planung geführt hätte?
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Schlussbemerkung:
Nach Aussagen des Schlichters ist S 21 mit samt der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm so wie gedacht, nicht umsetzbar. Durch eine Fülle von Nachforderungen, glaubt er, etwas retten zu können.
Aber diese Maßnahmen namens "S21 plus" sind unausgegoren, nicht konsequent zu Ende gedacht, z.T. gar nicht umsetzbar und viel zu teuer;
genauso wie das ursprüngliche Stuttgart 21.
Zu seinen Forderungen kommt Heiner Geißler nicht aus freien Stücken oder weil die Fachleute der Bahn Einsicht zeigten, sondern weil eine Gruppe engagierter „Amateure“ genau diesen Fachleuten nachweisen konnte, dass das
„Jahrhundertprojekt“ S 21, so nicht funktionieren kann, - und das nach 16 Jahren Planung.
Heiner Geißlers „Schlichterspruch“ gibt Anlass zu kritischem Nachdenken, weil er, aus welchem Grund auch immer, den neben dem Stuttgarter Hauptbahnhof wichtigsten Teilabschnitt, den auf den Fildern, nicht angemessen bewertet .
(Gleiches ließe sich zur Neubaustrecke Wendlingen – Ulm sagen. Auch dazu ist im „Schlichterspruch“ fast nichts zu hören, außer dass man sich anstrengen solle, alles endlich planfestzustellen. Zur Kostensteigerung und zur fragwürdigen Kostenübernahmen durch den Bund wolle er sich nicht äußern. Dabei zeigten die Schlichtungsgespräche, dass die Neubaustrecke sowohl bahnbetrieblich als auch vom Trassenverlauf her (kein Güterverkehr, Steigung, Tunnel usw.) eine ganz fragwürdige Planung darstellen).
Stuttgart 21 (samt Neubaustrecke)
ist eine unheilbare Fehlplanung
Die Schutzgemeinschaft Filder will weder S 21, noch S 21+, noch die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm in der vorgelegten Form. Wir wollen die Sanierung des hervorragend funktionierenden Kopfbahnhofs und den leistungsfähigen Ausbau der Bestandsstrecken sowie einen S-Bahn-Ringschluss über die Filder, entsprechend dem Vorschlag von Prof. Karl Bodack.
Schutzgemeinschaft Filder e.V., Steffen Siegel, Panoramastr.64, 73765 Neuhausen, T: 07158-5850
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Anhang:
Flughafen und Stuttgart 21
Mehr Fliegen oder Bahnfahren durch einen Flughafenanschluss?
Die Planer behaupten unentwegt, der Bahnanschluss des Flughafens würde mehr Fluggäste auf die Bahn bringen. Das ist absurd. Ein direkter Flughafenanschluss bringt per saldo mehr Flugpassagiere und bewirkt damit - anders als von der Bahn beabsichtigt - eine Stärkung des Luftverkehrs.
Auf den Fildern steigt kein Passagier in die Bahn, um nach Frankfurt oder nach München zum dortigen Flughafen zu fahren. Der Flughafen selbst sagt, durch
S 21 werden 1,2 Millionen Menschen mehr fliegen. Die S 21 Planer und der Flughafen traten mit ihren sich vollständig widersprechenden Aussagen in
derselben Schlichtungsrunde auf?
Will der Flughafen die Voraussetzungen für eine zweite Startbahn schaffen,
sozusagen durch die Hintertür?
Der Flughafen finanziert Stuttgart 21 auf dubiose Weise
Der Flughafen sagt (Homepage, Presseerklärungen), er steure 359 Mio Euro zu Stuttgart 21 bei.
Im Kuchendiagramm (Finanzierungsanteile von 4,088Mrd Euro, Dez. 2009) sind nur 227,2 Mio Euro als Flughafenanteil aufgeführt.
Wie das?
Bereits 2008 hat der Flughafen 112,2 Mio direkt an die Bahn überwiesen.
Es hieß, „zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit von S 21“
Das ganze geschah ohne Zweckbindung und ohne Risikoabsicherung
227,2 + 112,2 = 339,4 fehlen bis 359 ca. 20 Mio. Wo sind die?
Warum tauchen die 112,2 Mio nicht als Kuchenstück im Diagramm auf ?
Schon allein deshalb müssten ja die Gesamtkosten 112,2Mio + 4,088 Mrd =
4,2 Mrd Euro(!) sein.
Der Flughafen „gehört“ Stadt und Land, also zahlt letztendlich wieder der Steuerzahler